Weltflüchtlingstag der UNO


IKZ-Artikel vom 25.06.2022
von Annabel Jatzke

Flucht und Vertreibung hautnah miterlebt
Zehn Geflüchtete haben im Woeste-Gymnasium ihren Weg aus ihrem Heimatland nach Deutschland geschildert

Arsalan (li.) und Besmillah berichteten den Schülern und
Lehrern von ihren Erlebnissen auf der Flucht.


Hemer
Die Themen Flucht und Vertreibung wirken gleichzeitig nah und fern. Kaum einer, der es nicht miterlebt hat, kann wirklich den Verlust der eigenen Heimat nachempfinden. Durch den Ukraine-Krieg und anderer Fluchtursachen ist das Thema allerdings auch immer präsenter geworden und betrifft auch viele Lebensbereiche in der Felsenmeerstadt. Zum Weltflüchtlingstag am 20. Juni hat das Woeste-Gymnasium zehn Flüchtlinge eingeladen, die ihre Erlebnisse in den Jahrgangsstufen 7 bis zur Q1 ausführlich schilderten.

Sie stammen aus der Türkei, Afghanistan, Syrien und dem Iran und erzählten eindrücklich von ihren Erfahrungen in der alten Heimat, auf der Flucht und letztendlich beim Neustart in Deutschland.

Wegen politischer Mission in Afghanistan mehrfach bedroht

Am Mittwochmittag waren beispielsweise Besmillah und Arsalan zu Gast. Die beiden jungen Männer berichteten von ihren Geschichten und bewiesen damit, dass man auch als Flüchtling niemals den Mut aufgeben darf, seine persönliche Erfolgsgeschichte zu verwirklichen. Seit zwei Jahren ist Besmillah, der aus Afghanistan stammt, in Deutschland. „Die ersten zwei Jahre waren schwer wegen der Trennung von der Familie“, erklärt er den Schülern in seinem schon recht guten Deutsch. Frau und Sohn musste er zunächst in Kabul zurücklassen, mittlerweile sind sie nach einem langen Kampf aber wieder an seiner Seite.

Nach der Schule studierte Besmillah in der Heimat, bevor er eine Stelle bei der UNO antrat. Dort arbeitete er als politischer Assistent und unterstützte auch die Frauenrechte. Sein Englisch war sehr gut und er kam viel herum. „Ich war Teil der politischen Mission“, so Besmillah. Schließlich wurde er wegen seines Engagements bei der UNO von den Taliban verfolgt. Vier Mal wurde er bedroht. Als er dann auf einem Seminar in Europa war, wurde währenddessen sein Büro von den Taliban angegriffen. Das zweite Seminar innerhalb kürzester Zeit nutzte er schließlich zur endgültigen Flucht. Seine Frau, eine studierte Gynäkologin, blieb mit dem Sohn in Kabul. Später musste auch sie aus der Großstadt in die Berge fliehen.

Teilweise hatte Besmillah in dieser Zeit wochenlang keinen Kontakt zu ihr. Fernab der Heimat tat er alles, um Frau und Kind auch nach Deutschland zu holen. Er war unter anderem auch im Fernsehen – in der ARD-Sendung „Panorama“ – und ließ nichts unversucht, damit seine Frau und sein Sohn auf die Ausreiseliste kamen.

Viel Einsamkeit in vergangenen zwei Jahren

Dann schilderte er die Flucht seiner Frau: Inmitten der Nacht musste sie fliehen. „Jeder muss um Hilfe kämpfen“, so Besmillah, der auf Nachfrage von Schülern und Lehrern klarmacht, dass man es nur mit guten Kontakten schaffen kann. Der Krieg in Afghanistan rückt immer mehr aus dem Fokus, der Krieg in der Ukraine wird stattdessen immer präsenter. Nichtsdestotrotz verhungern in Afghanistan immer noch Menschen und unzählige Kinder leiden an Mangelernährung. Besmillah und seine Frau haben Glück gehabt, dass sie jetzt gemeinsam in Deutschland sind und auch eine eigene Wohnung haben.

In den letzten zwei Jahren sei er oftmals einsam gewesen. Neben der Trennung von der Familie war es aufgrund der Corona-Pandemie auch schwer, neue Kontakte zu knüpfen und so die deutsche Sprache zu erlernen. Derzeit besucht er einen C1-Sprachkurs. Auch in Deutschland interessiert er sich weiterhin für Politik. Große Unterschiede zwischen Afghanistan und Deutschland sieht Besmillah nicht: „Ich habe keinen Kulturschock bekommen.“ Eines ist für ihn aber wichtig, und das betont er immer wieder: „Ohne das Flüchtlingsnetzwerk Hemer klappt es nicht!“

Iraner musste für seinen Traumberuf Koch kämpfen

Der Iraner Arsalan kann wahrlich stolz sein auf seine kleine Erfolgsgeschichte. Er hat in Deutschland nach seiner Flucht eine Ausbildung zum Koch abgeschlossen. Deutsch hat er sich damals selbst beigebracht, indem er deutschsprachige Serien schaute. Der zum Christentum konvertierte Arsalan hatte für die Schüler einen Tipp parat: „Versucht eure Ziele und das, was ihr euch wünscht, zu erreichen.“ Er selbst musste lange für seinen Traumberuf Koch kämpfen.

Das ganze Projekt war angelehnt an die Initiative „Human Books“, bei der Menschen ihre Lebensgeschichte erzählen. Gerne hätte man seitens des Gymnasiums auch ältere Menschen für das Projekt gewinnen wollen, die von Vertreibung oder auch der Flucht aus der ehemaligen DDR berichtet hätten – allerdings fand man niemanden, der sich dazu bereit erklärte. Umso erfreuter waren die beiden Lehrerinnen Bettina Kreiter und Stefanie Guenak, dass sie im Flüchtlingsnetzwerk Hemer einen Kooperationspartner fanden. Unterstützt wurden die beiden Lehrerinnen von Lena Ahbap und Angelika Shchapova aus der Q1.

Mit den Vorträgen in den Klassen und Kursen sollte die Empathie für die Flüchtlinge gestärkt werden. Das Gymnasium selbst hat eine internationale Sprachlerngruppe, in der Schüler sind, die kaum Deutsch können – momentan auch viele Ukrainer. Des Weiteren gibt es zwei Förderklassen, in der unter anderem Flüchtlingskinder, die bereits Grundkenntnisse erlernt haben, in Klassen integriert werden und zusätzlich noch gesondert Sprachunterricht erhalten.